Unsere Frage an die Experten – Herausforderungen im unerfüllten KiWu?

Oft ist es schwierig, andere Ansichten zu verstehen. Vor Allem, wenn man selbst von etwas betroffen ist oder in einer Situation steckt, die einen selbst verunsichert. Dabei macht es Sinn, sich diese anzuhören und zu versuchen, diese zu verstehen. Nur so ist es am Ende möglich, für sich selbst ein klareres Bild zu schaffen.

Deswegen möchten wir euch, mit unserer neuen Artikelreihe „Frage an die Experten“, einen Perspektivwechsel ermöglichen. In den nächsten Wochen werden wir euch zeigen, wie die Meinungen verschiedener Experten auf unsere Fragen zum unerfüllten Kinderwunsch sind. Unsere Experten sind dabei Ärzte, genauso wie zum Beispiel auch Pädagogen, Paarberater und Betroffene.

In diesem Artikel lautet unsere Frage an die Experten – Herausforderungen im unerfüllten KiWu? Welches sind die vielfältigen Themen, mit denen von ungewollter Kinderlosigkeit Betroffene zu kämpfen haben? Wir haben spannende Antworten erhalten! Beachtet bitte, dass es sich hierbei jeweils um persönliche Ansichten handelt und die Antworten keine Allgemeingültigkeit haben.

Frage an die Experten - Herausforderungen im unerfüllten KiWu

Dr. med. Maria-Eugenie Schausten

Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie

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Ein unerfüllter Kinderwunsch durchläuft sehr unterschiedliche Phasen und nimmt in jeder dieser Phasen sehr viel Raum im Leben der Betroffenen ein. 

Jeder hat sehr unterschiedliche Möglichkeiten damit umzugehen. Die besondere Herausforderung liegt daher auch in jeder Phase auf anderen Ebenen.

Eine Ebene betrifft die Partnerschaft des betroffenen Paares, eine weitere die kleinere und größere Familie, der Freundes- und Bekanntenkreis, aber auch nicht zuletzt die Kollegen am Arbeitsplatz werden ein Teil der zu bewältigenden Etappen. Das betrifft die menschlichen Zusammenhänge. Auch ganz wichtig sind die verschiedenen Ebenen, in denen sich der Kinderwunsch entwickelt. Zunächst, relativ einfach, die Entscheidungsfindung „pro Kind“, dann die Entdeckung der Probleme, darauf folgt die Hoffnung und immer wieder die neue Hoffnung, dann die Erkenntnis und am langen und traurigen Ende die Sicherheit und die Entscheidung gegen weitere Enttäuschungen und für das bewusste Leben ohne Kind.

Die in wenigen Sätzen beschriebenen Ebenen und Etappen sind schnell formuliert, haben aber sehr viel sowohl zerstörerisches als auch kreatives Potential und können ungeahnte Erkenntnisse bringen, die zu Beginn undenkbar waren.
Es ist für das Gegenüber sehr schwer einzuordnen, wo man die Betroffenen gerade abholen soll, kann und darf.  Es ist auch nicht jeder bereit offen zu kommunizieren, in welcher Phase des unerfüllten Kinderwunsches, er sich gerade befindet. Selbst das Gesprächsangebot zu machen, kann schon verletzen.

Anonym

Frage an die Experten - Welchen Herausforderungen müssen sich Betroffene im unerfüllten KiWu stellen?

Das ist eine sehr komplexe Frage, die ich allgemein und persönlich beantworten möchte. 

Allgemein würde ich sagen, dass der unerfüllte Kinderwunsch plötzlich die elementarsten Fragen im Leben berührt, die man sich so vielleicht noch nie gestellt hat. Weil man dachte, da kommen noch Kinder und das Leben war ganz anders geplant. Plötzlich werden Fragen zum eigenen Älterwerden, den eigenen Werten und den Normen und Geschlechterrollen der Gesellschaft wichtig. Auch die Fragen: Wie lebe ich im Alter? Und wie möchte ich generell leben? Was möchte ICH wirklich? Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich Eltern diese Fragen auch stellen, wenn die Kinder groß geworden sind und von zu Hause ausziehen. „Was möchte ich mit dem Rest meines Lebens machen?“ Weil plötzlich erkennt man, da ist ja Zeit für MICH da. Was mache ich denn damit?
Ich glaube jeder Mensch muss sich selber fragen, wie weit er gehen möchte, welche Eingriffe er in seinen Körper wirklich vertreten und mitmachen möchte. Es ist mein Körper und ich entscheide darüber. Und die Reproduktionsmedizin vermittelt auch noch ein völlig falsches Bild, dass es eben möglich wäre auch im höheren Alter noch Kinder zu kriegen. Wer profitiert eigentlich am meisten im Kinderwunschgeschäft? Ich kann nicht verstehen, dass über die Risiken, Nebenwirkungen und psychischen Folgen durch die körperlichen Eingriffe nicht gesprochen wird. Laut der Statistik müssen so viele Menschen betroffen sein, denn die Baby-Take-Home Rate ist so niedrig. Kinder sind ein Wunder.

Persönlich würde ich sagen, dass es mir am schwersten gefallen ist, mich mit etwas abzufinden, was ich nicht ändern kann und wofür ich gar nichts kann. Wohlwollend und mit viel Selbstliebe auf mich zu schauen, das hat doch sehr lange gedauert. Mir fiel es schwer einfach abzuwarten und nichts tun zu können, als es als Prozess mit viel Trauerarbeit zu verstehen, indem ich nach und nach lerne damit umzugehen und meinen Weg selber zu gehen. Dabei die Hormonschwankungen mit dem Zyklus auszuhalten. Oder die Meldungen wer ist schwanger geworden und wer hat gerade ein Kind bekommen? Was habe ich mich am Anfang geschämt und gedacht was es für gesellschaftliche Erwartungen an mich als Frau, gibt. Ich kann da heute nur noch Schmunzeln. Irgendwann habe ich verstanden, dass es an mir selber liegt und das es meine Entscheidung ist, wie ich lebe.

Expertenfrage - Welchen Herausforderungen müssen sich Betroffene im unerfüllten Kinderwunsch stellen?

Anna Koppri

Sozialpädagogin, systemische Familientherapeutin und Schriftstellerin

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Jeder Zyklus ist geprägt von hoffen/bangen und Enttäuschung, eine wahre Gefühlsachterbahn! Es ist kaum genug Zeit, die Enttäuschung zu verarbeiten, weil meist im neuen Zyklus schon wieder Hoffnung aufkommt.
Es kann schon nach wenigen Zyklen sehr belastend sein, nicht schwanger zu werden, wenn man sich sehr auf den Kinderwunsch konzentriert. Für Außenstehende ist das oft schwer nachvollziehbar, weshalb sie häufig mit Unverständnis, Beschwichtigungen oder gut gemeinten Ratschlägen reagieren. Nachfragen aus dem Umfeld stellen eine weitere Herausforderung dar, auf die man eine gute Weise zu reagieren finden muss.
Des Weiteren setzen sich viele mit dem eigenen Körper auseinander, der nicht so funktioniert, wie man es sich wünschen würde und bekommt eventuell Diagnosen, die einen selbst und die Partnerschaft belasten können.
Oft müssen erst Positionierungen und Umgangsweisen zu/mit Kinderwunschbehandlungen gefunden werden und letztendlich der richtige Zeitpunkt, um mit den Behandlungen aufzuhören. Ist dieser Schritt getan, ist eine große Herausforderung das Leben trotz unerfüllten Kinderwunsches erfüllt zu gestalten und die Partnerschaft (weiter) zu pflegen.

Maren Sörensen

Dipl.-Pädagogin, Systemische Therapeutin, Supervisorin und Coach

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Unerfüllter Kinderwunsch - wie damit umgehen?

Als größte Herausforderung sehe ich bei den Paaren, die mit dem Thema KiWu zu mir in die klassische Paarberatung oder Beziehungsberatung kommen, die gefühlte Hilflosigkeit aufgrund von erlebtem Kontrollverlust: Der Situation ausgeliefert zu sein, „mitmachen“ zu „müssen“ statt etwas wirklich tun zu können, Sex nach Kalender. Daraus ergibt sich nach einiger Zeit ein ständiges Auf und Ab von Hoffnung und Enttäuschung, mit nur gering empfundener Selbstkontrolle.

Unerfüllter Kinderwunsch belastet Beziehung

Lena Elfers

Filmregisseurin

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Kinder geben einem Leben automatisch eine Aufgabe, man muss sich als Eltern immer neuen, sich ändernden Herausforderungen stellen. In einem Leben ohne Kind müssen diese Herausforderungen und Aufgaben von der Person selbst definiert werden.

Während Mütter sich so gut wie nie dafür rechtfertigen brauchen, warum sie Mütter geworden sind, müssen Frauen ohne Kinder das sehr häufig tun. 

Christine Baumann

Heilpraktikerin
 
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Ungewollt kinderlos Depression

Ich erlebe das Thema aufgrund meiner Praxis eher aus der weiblichen Perspektive. Und auch wenn wir mittlerweile völlig emanzipiert leben, ist das Bild der Frau, die nun mal in einem bestimmten Alter Kinder bekommt immer noch in vielen Köpfen verbreitet. So ist es keine Seltenheit, dass Frauen oder auch Paare im Smalltalk gefragt werden „Und wann ist es bei Euch so weit / was macht Eure Familienplanung?“. Das ist ein Schlag ins Gesicht, wenn man seit mehreren Jahren versucht schwanger zu werden und es nicht klappen will, oder wenn Frau vielleicht gerade im Stillen den dritten Abgang hinter sich hat. Gleichzeitig ist aber eben das Thema unerfüllter Kinderwunsch ein Tabuthema, über das die wenigsten sprechen. Nicht schwanger werden ist ein bisschen wie „die Impotenz der Frau“. Gesellschaftlich ein Maß zu finden, damit umzugehen – das ist eine Herausforderung.

Den eigenen Weg finden, mit dem Thema umzugehen eine andere. Wem vertraut man sich an? Welche Tipps in Onlineforen oder Zeitschriften probiert man aus? Geht man den Weg in die Kinderwunschklinik und wie kommt man durch diese Prozedur, ohne dass die Partnerschaft und das Wohlbefinden im eigenen Körper leidet? Da muss jedes Paar für sich entscheiden, welches der richtige Weg – ganz individuell – ist

Frage an Experten - Herausforderungen für Betroffene im unerfüllten Kinderwunsch

Mathias Rudolf

Paarberater & Familiencoach

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Bei diesem Thema wird es sehr existentiell. Ein Kinderwunsch ist nichts, bei dem man sagt: „Na gut, dann halt nicht.“ Es kommen große Selbstzweifel auf, und früher oder später taucht auch die Schuldfrage auf. Eine hohe Belastung für beide Partner.

 

Weiterführende Links zum Thema:

Die Krise im unerfüllten KiWu verlassen – AKUTHILFE für FRAUEN

Älter werden als unfreiwillig Kinderlose

Partnerschaft im unerfüllten Kinderwunsch stärken

Die Kraft in uns für den unerfüllten Kinderwunsch

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